22. Kapitel
Nur ein von einem durch Liebe verursachten Anfall von Altersnarzismus Verwirrter konnte es gewagt haben, sich derart zum Affen zu machen: René, wohl in seinem neuen Gefühl der Unsterblichkeit, war in London los gezogen und hatte vor der Fahrt nach Hastings bei einem auf Jugendstil spezialisierten Juwelier einen Verlobungsring für Peggy gekauft. - Einen goldschwarzen Schwan von William Morris, der sich eine gülden glänzende Süßwasser-Perle aus dem Gefieder zieht. Kostenpunkt: Sein Monatssalär als Pauker für französische Konversation.
Das Desaster schilderte er Johannes in einer Mail:
"Ich dachte wirklich, ich hätte den richtigen Zeitpunkt ausgewählt. Am ersten Weihnachtstag beim Tee bin ich aufgestanden und habe in aller Form bei Beth und Brian um die Hand ihrer Tochter angehalten. Die waren weniger entsetzt als ihre Tochter. So wütend hatte ich sie noch nie erlebt. Um ehrlich zu sein, hatte ich überhaupt keine Vorstellung davon gehabt, wie sauer sie sein konnte. Die ganze Wärme des wirklich einzigartig harmonischen Weihnachtsfestes war innerhalb einer Sekunde einer neuen Eiszeit gewichen. Sie zerrte mich aus dem Raum mit ihren schockstarren Eltern, schob mich in das bislang ungenutzte Gästezimmer und meinte lapidar, ich könne darin mal eine Nacht darüber nachdenken, ob es nicht Sinn mache, zunächst die Braut zu fragen, ob sie überhaupt heiraten wolle. Sie wolle nämlich nicht! Und das hätte - bevor ich wieder in Alterslarmoyanz ausbräche - rein gar nichts mit dem Altersunterschied, sondern vielmehr mit ihrer Einstellung zur Ehe zu tun. Deren mittelalterliches Verpflichtungsszenario decke sich nun mal nicht mit ihrer Auffassung von der Souveränität einer Frau. Und, - sie hätte wirklich gedacht, dass ihr Papù das schon längst begriffen habe. Nun stelle sich aber enttäuschender Weise heraus, dass ein alter Esel genau so lange Ohren habe wie ein junger."
Letzteres hatte ihn - wer René kennt - härter getroffen als die Peinlichkeit des Fauxpas mit den Eltern. Wie René sich Peggy dann doch wieder gewogen gemacht hatte, blieb für immer sein Geheimnis. Allerdings konnte Johannes den so beschriebenen Verlobungsring gut ein halbes Jahr später als einzige "Bekleidung" an einer ansonsten völlig nackten Peggy identifizieren.
Die nächste Mail kam kurz vor Sylvester:
"Peggy hat zugestimmt. dass sie mich zur Party des Dekans begleitet.Wir waren heute im Harrods. Hatte ja nichts für fein dabei. Ich habe darauf bestanden, dass sie ein Abendkleid mit schwarz und Gold aussucht, weil ich etwas Passendes dazu als Überraschung für sie habe. Kleider machen Leute! - Was für ein blöder Spruch! - Und doch so passend. Das Flamingo-Mädchen hat in ihrer Gala genauso ausgesehen wie der Schwan auf ihrem Ring. Und der alte Sack im Smoking (Tuxedo natürlich!) machte auch etwas her. Ich wusste gar nicht, dass Vivienne Westwood auch für Männer entwirft. Jedenfalls ein edles Teil mit Weste. Vor einem halben Jahr hätte ich gesagt, dass sich das ja wohl gar nicht mehr lohne..."
Was es an Überredungskunst gekostet hatte, Peggy nach dem Antragsdisaster überhaupt zum Mitgehen als "Begleitung" zu bewegen, verriet René erst ein halbes Jahr später. Denn heikel war das ganze ja schon - auch ohne ihre weihnachtlichen Differenzen. Den Abend ohne "Outing" zu überstehen, schien so gut wie unmöglich. Für Peggy lag - "very British" bei den ungeschriebenen Maßstäben der Fakultät - ja ein Skandal in der Luft, der sich nicht nur auf ihre mit berechtigter Spannung erwartete Dissertation, sondern später sogar auf ihre gesamte Karriere als Philosophin hätte auswirken können.
Die Party war natürlich pures Understatement. Das traditionelle Fest zum Jahreswechsel glich eher einem Empfang und hatte den Stellenwert eines erstrangigen gesellschaftlichen Ereignisses, zu dem sogar Royals erschienen, an denen alle vorbei flanieren mussten. Lord Nicky, wie er wohl genannt werden durfte, weil er selbst hier studiert hatte, war wohl einer aus dem Hause Kent, aber Peggy und René als ausgewiesene Antiroyalisten interessierte das nicht besonders. Sie wollten nur gucken, Spaß haben und bloß nicht auffallen. Was aber nicht ganz klappte, weil René am Saaleingang als Monsieur LeRoy ausgerufen wurde. Und zwar nicht wie er sich selbst dezidiert aussprach als "LäRoiiiiy", sondern als "LeRoa", was sich anhörte, als sei ein postrevolutionärer, oder besser postrepublikanischer, französischer Monarch im Anmarsch. Alle Blicke waren ab sofort auf "Vater und Tochter König" gerichtet, die obendrein auch extravagant gekleidet waren. Und noch extravaganter und betont lässig bei der Cocktail-Plauderei je nach Gesprächspartner von Französisch zu Deutsch und dann wieder zum Englisch "switchten".
Nach dem Bankett, das von einem Jamie-Oliver-Adepten überraschend gut für derart viele Gäste zubereitet worden war, musste sich René damit abfinden, dass er abgemeldet war. Viele junge Männer suchten zum Tanzen die Nähe von Peggy, und die überraschte ihn, weil sie trotz ihrer Länge, mit der sie die meisten ihrer Partner überragte, die Standardtänze mit gewisser Grazie beherrschte. René, der schon mit Rosalie nur getanzt hatte, wenn es der Anlass verlangt hätte, wäre nie auf die Idee gekommen Peggy zum Tanzen aufzufordern. Er hatte im inneren ein tiefes, sehr irrationales Gefühl der Abneigung vor dem Bild, das sie dabei bieten könnten.
Mit der durch einige Gläser Champagner erreichten Leichtigkeit nahm aber Peggy auf seine Hemmungen keine Rücksicht. Mit der Wahl der Damen glitt sie auf ihn zu und forderte ihn mit einer tiefen Verbeugung zu einem langsamen Walzer. Als sie die Hand leicht in seine legte, glitzerte der schwarzgoldene Schwan mit der Perle um die Wette. René hatte ihr den Ring bedingungslos vor dem Ball an den Finger gesteckt, und die hatte sich unheimlich über das schöne Stück gefreut. Jetzt schmiegte sie sich so an seine Wange, dass sie in sein Ohr flüstern konnte:
"Es ist so schön, mit dir nicht verlobt zu sein. Keine Versprechen, keine Schwüre, die dann ja meist vielleicht doch nicht halten oder gehalten werden. Nur dieses unvergängliche Zeichen deiner Liebe an meinem Finger. Dafür hast du jetzt einen viel heftigeren als eine schüchternen Verlobungskuss verdient."
Sprach es und hielt mitten im Tanz inne, um René einmal mehr mit ihrer ungebremsten Leidenschaft zu küssen. Und René erwiderte ihren Kuss in einer Art, die ihn in der zwangsweisen Betrachtung der unvermeidlichen Augenzeugen im Nu vom Daddy zum Sugar-Daddy transformierte.
"Es wird so ein wunderbares Jahr werden", jubelte Peggy beim Weitertanzen. Beschwingt ließ sich René von ihr noch durch ein paar schnellere Tänze führen, deren Schritte er gerade noch improvisieren konnte. Dann überließ er sie wieder jüngeren Partnern zu "jüngerer" Musik. Mitten in dem stillen Moment des Glücks, den er in einer Nische des Saales für sich alleine genießen wollte, setzte sich der Dekan ohne zu fragen zu ihm. René glaubte, ihm eine Erklärung schuldig zu sein, denn seine Legende war ja nun wohl aufgeflogen. Aber der Dekan bat ihn mit einer Handbewegung zu schweigen. Dann begann der wohl zwanzig Jahre jüngerer Mann mit einer natürlichen Würde selbst zu sprechen. Er war ein etwas zur Fülle neigender Mann mit einem weißen Haarkranz, der gut als mordender Pfarrer in einen der typischen BBC-Krimis gepasst hätte. Sein Blick war nicht nur forschend, sonder auch durchdringend:
"Ich wollte schon seit einigen Tagen mit ihnen sprechen, weil ich wegen Ihnen ein kniffliges Versicherungsproblem juristisch zu klären hatte. Der Konversationskurs ist ja nicht Bestandteil der Studiengänge und Sie sind ja auch kein ausgebildeter Lehrer - und obendrein nur zur Aushilfe eingesprungen. Weder gewähren sie ihren Schülern Versicherungsschutz noch haben Sie selbst einen bei Ihren Exkursionen durch die Stadt."
Er machte eine gewichtige Pause, entspannte dann seine Gesichtszüge und wurde ganz Kollege:
"Was haben Sie in Ihrem fortgeschrittenen Leben noch für Ziele Monsieur LeRoy? Sie machen den Kurs ja nicht, weil Sie das Geld bräuchten... Das schreckliche an dieser Internet-Zeit ist ja, dass man jeden mittels Suchmaschinen über seine Vergangenheit ausforschen kann. Aber Ihre ist in der Tat die verblüffendste Zielgerade, die einer gegen Ende seines Lebens einschlagen kann. Ich habe eben nach der Szene auf der Tanzfläche noch mit Dwight in Boston telefoniert, um ihm einen guten Rutsch zu wünschen. Er hat laut und wissend gelacht, als ich ihm erzählt habe, weshalb Sie sein Appartement eigentlich unbedingt hüten wollten."
Die Leute begannen bereits aus den Saaltüren auf den Vorplatz zum Feuerwerk zu drängen. als der Dekan mit banger Stimme fragte:
"Sie werden doch wohl nicht eine unserer vielversprechendsten Wissenschaftlerinnen nach Frankreich entführen? Ich biete Ihnen an, hier so lange weiter zu machen, wie es Ihnen an unserer Uni gefällt. Dwight hat in den kommenden Semestern als neu ernanntes Mitglied des Senats ohnehin soviel zu tun, dass er den Konversationskurs mit Ihrer Intensität sowieso nicht weiter machen könnte..."
René suchte im Getümmel nach Peggy, was aber kein Problem darstellte, weil sie mit Ihrem herausragenden Haarschopf leicht aufzuspüren war. Sie winkte bereits in seine Richtung, hatte aber eine besorgte Miene, weil sie den Dekan neben ihrem Geliebten entdeckte.
Rene strahlte sie aber derart an, dass sie beruhigt sein konnte. Dann wandte er sich dem Dekan zu, um ihm zu sagen:
"Ich habe Miss O'Neill versprochen, dass sie nichts an ihrem Leben und ihren Zielen ändern muss. Ich bin es, der für Sie sein Leben bereits geändert hat und sich auch in Zukunft nach ihr richten wird."
Dann begann die Menge vielstimmig, das alte Jahr herunter zu zählen, während die Band Auld Lang Syne anstimmte.
Die Party war natürlich pures Understatement. Das traditionelle Fest zum Jahreswechsel glich eher einem Empfang und hatte den Stellenwert eines erstrangigen gesellschaftlichen Ereignisses, zu dem sogar Royals erschienen, an denen alle vorbei flanieren mussten. Lord Nicky, wie er wohl genannt werden durfte, weil er selbst hier studiert hatte, war wohl einer aus dem Hause Kent, aber Peggy und René als ausgewiesene Antiroyalisten interessierte das nicht besonders. Sie wollten nur gucken, Spaß haben und bloß nicht auffallen. Was aber nicht ganz klappte, weil René am Saaleingang als Monsieur LeRoy ausgerufen wurde. Und zwar nicht wie er sich selbst dezidiert aussprach als "LäRoiiiiy", sondern als "LeRoa", was sich anhörte, als sei ein postrevolutionärer, oder besser postrepublikanischer, französischer Monarch im Anmarsch. Alle Blicke waren ab sofort auf "Vater und Tochter König" gerichtet, die obendrein auch extravagant gekleidet waren. Und noch extravaganter und betont lässig bei der Cocktail-Plauderei je nach Gesprächspartner von Französisch zu Deutsch und dann wieder zum Englisch "switchten".
Nach dem Bankett, das von einem Jamie-Oliver-Adepten überraschend gut für derart viele Gäste zubereitet worden war, musste sich René damit abfinden, dass er abgemeldet war. Viele junge Männer suchten zum Tanzen die Nähe von Peggy, und die überraschte ihn, weil sie trotz ihrer Länge, mit der sie die meisten ihrer Partner überragte, die Standardtänze mit gewisser Grazie beherrschte. René, der schon mit Rosalie nur getanzt hatte, wenn es der Anlass verlangt hätte, wäre nie auf die Idee gekommen Peggy zum Tanzen aufzufordern. Er hatte im inneren ein tiefes, sehr irrationales Gefühl der Abneigung vor dem Bild, das sie dabei bieten könnten.
Mit der durch einige Gläser Champagner erreichten Leichtigkeit nahm aber Peggy auf seine Hemmungen keine Rücksicht. Mit der Wahl der Damen glitt sie auf ihn zu und forderte ihn mit einer tiefen Verbeugung zu einem langsamen Walzer. Als sie die Hand leicht in seine legte, glitzerte der schwarzgoldene Schwan mit der Perle um die Wette. René hatte ihr den Ring bedingungslos vor dem Ball an den Finger gesteckt, und die hatte sich unheimlich über das schöne Stück gefreut. Jetzt schmiegte sie sich so an seine Wange, dass sie in sein Ohr flüstern konnte:
"Es ist so schön, mit dir nicht verlobt zu sein. Keine Versprechen, keine Schwüre, die dann ja meist vielleicht doch nicht halten oder gehalten werden. Nur dieses unvergängliche Zeichen deiner Liebe an meinem Finger. Dafür hast du jetzt einen viel heftigeren als eine schüchternen Verlobungskuss verdient."
Sprach es und hielt mitten im Tanz inne, um René einmal mehr mit ihrer ungebremsten Leidenschaft zu küssen. Und René erwiderte ihren Kuss in einer Art, die ihn in der zwangsweisen Betrachtung der unvermeidlichen Augenzeugen im Nu vom Daddy zum Sugar-Daddy transformierte.
"Es wird so ein wunderbares Jahr werden", jubelte Peggy beim Weitertanzen. Beschwingt ließ sich René von ihr noch durch ein paar schnellere Tänze führen, deren Schritte er gerade noch improvisieren konnte. Dann überließ er sie wieder jüngeren Partnern zu "jüngerer" Musik. Mitten in dem stillen Moment des Glücks, den er in einer Nische des Saales für sich alleine genießen wollte, setzte sich der Dekan ohne zu fragen zu ihm. René glaubte, ihm eine Erklärung schuldig zu sein, denn seine Legende war ja nun wohl aufgeflogen. Aber der Dekan bat ihn mit einer Handbewegung zu schweigen. Dann begann der wohl zwanzig Jahre jüngerer Mann mit einer natürlichen Würde selbst zu sprechen. Er war ein etwas zur Fülle neigender Mann mit einem weißen Haarkranz, der gut als mordender Pfarrer in einen der typischen BBC-Krimis gepasst hätte. Sein Blick war nicht nur forschend, sonder auch durchdringend:
"Ich wollte schon seit einigen Tagen mit ihnen sprechen, weil ich wegen Ihnen ein kniffliges Versicherungsproblem juristisch zu klären hatte. Der Konversationskurs ist ja nicht Bestandteil der Studiengänge und Sie sind ja auch kein ausgebildeter Lehrer - und obendrein nur zur Aushilfe eingesprungen. Weder gewähren sie ihren Schülern Versicherungsschutz noch haben Sie selbst einen bei Ihren Exkursionen durch die Stadt."
Er machte eine gewichtige Pause, entspannte dann seine Gesichtszüge und wurde ganz Kollege:
"Was haben Sie in Ihrem fortgeschrittenen Leben noch für Ziele Monsieur LeRoy? Sie machen den Kurs ja nicht, weil Sie das Geld bräuchten... Das schreckliche an dieser Internet-Zeit ist ja, dass man jeden mittels Suchmaschinen über seine Vergangenheit ausforschen kann. Aber Ihre ist in der Tat die verblüffendste Zielgerade, die einer gegen Ende seines Lebens einschlagen kann. Ich habe eben nach der Szene auf der Tanzfläche noch mit Dwight in Boston telefoniert, um ihm einen guten Rutsch zu wünschen. Er hat laut und wissend gelacht, als ich ihm erzählt habe, weshalb Sie sein Appartement eigentlich unbedingt hüten wollten."
Die Leute begannen bereits aus den Saaltüren auf den Vorplatz zum Feuerwerk zu drängen. als der Dekan mit banger Stimme fragte:
"Sie werden doch wohl nicht eine unserer vielversprechendsten Wissenschaftlerinnen nach Frankreich entführen? Ich biete Ihnen an, hier so lange weiter zu machen, wie es Ihnen an unserer Uni gefällt. Dwight hat in den kommenden Semestern als neu ernanntes Mitglied des Senats ohnehin soviel zu tun, dass er den Konversationskurs mit Ihrer Intensität sowieso nicht weiter machen könnte..."
René suchte im Getümmel nach Peggy, was aber kein Problem darstellte, weil sie mit Ihrem herausragenden Haarschopf leicht aufzuspüren war. Sie winkte bereits in seine Richtung, hatte aber eine besorgte Miene, weil sie den Dekan neben ihrem Geliebten entdeckte.
Rene strahlte sie aber derart an, dass sie beruhigt sein konnte. Dann wandte er sich dem Dekan zu, um ihm zu sagen:
"Ich habe Miss O'Neill versprochen, dass sie nichts an ihrem Leben und ihren Zielen ändern muss. Ich bin es, der für Sie sein Leben bereits geändert hat und sich auch in Zukunft nach ihr richten wird."
Dann begann die Menge vielstimmig, das alte Jahr herunter zu zählen, während die Band Auld Lang Syne anstimmte.